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„Geht mal öfter in den Zoo!“

Passen Höchstleistung und Achtsamkeit zusammen? Sven Hannawald diskutierte mit Experten aus Wirtschaft und Medizin beim Jubiläum des Beruflichen Trainingszentrums der SRH in München.

Kalendereintrag
Hannawald

Wer Sven Hannwald einlädt, erwartet wahrscheinlich Vieles: Ein Vortrag zur guten und schlechten Seite des Leistungssports, davon, wie man sich wieder nach oben kämpft oder vielleicht auch direkt, wie es einem geht, nach der Depression, dem Burnout. Stattdessen kam eine Empfehlung für den Zoobesuch: „Wer Tiere beobachtet, kann sich wieder auf seine Grundbedürfnisse besinnen. Mir hilft das, stärker darauf zu hören, was mir guttut. Tiere kommen ohne den täglichen Wahnsinn aus.“

Dieser „tägliche Wahnsinn“ ist wohl ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen privat und beruflich einseitig belastet sind. Das begünstigt psychische Erkrankungen. Inzwischen sind 16,2 Prozent der Fehltage auf psychische Ursachen zurückzuführen, zeigt der aktuelle Gesundheitsreport 2016 der DAK – ein ständiger Anstieg seit 2006.

Wie es stattdessen gelingt, mit Leistungsanforderungen und Stress gesund umzugehen, berichtete Sven Hannawald am Freitag (17. Juni) im Vorhoelzer Forum in München. „Schneller, höher, weiter – Leistungsdenken und berufliche Reha bei psychischen Erkrankungen: ein Widerspruch?“ Diese provokante Frage diskutierte der ehemalige Skispringer mit Experten aus Wirtschaft, Arbeitsvermittlung und Medizin. Eingeladen hatte das Berufliche Trainingszentrum der SRH in München (BTZ).

Im BTZ München lernen Menschen nach psychischen Erkrankungen, mit Belastungen gesund umzugehen, um beruflich wieder einsteigen zu können. Seit 10 Jahren ist das BTZ unter der Leitung von Jörg Lonitz in der bayerischen Landeshauptstadt präsent. Zum Jubiläum wurde deutlich, wie sehr sich der Blick auf Leistung und psychische Erkrankungen in dieser Zeit verändert hat.

„Psychische Erkrankungen sind heute weniger stigmatisiert als früher. Dazu haben die BTZ wesentlich beigetragen“, sagte Hans-Joachim Eucker, stellvertretender Vorstand des Trägers SRH. Das erste berufliche Trainingszentrum überhaupt hatte die SRH 1980 in Wiesloch bei Heidelberg gegründet. Der Standort München folgte als zweiter von mittlerweile sieben Zweigstellen 2006. „Ich war zuerst skeptisch, ob sich so ein Zentrum hier behaupten kann“, gab Eucker zu. „Aber das BTZ ist jetzt auf 40 Plätze gewachsen. Der Bedarf nach Hilfe, um beruflich wieder Fuß zu fassen, steigt.“

Zugeben, dass er Hilfe brauchte, kann heute auch Sven Hannawald. Eindrucksvoll schilderte er dem Publikum seinen Weg in der Leistungsförderung der DDR bis zu einem der erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten – der sich und seinem Körper alles abverlangte. „Die Erfolgsmaschine hatte ich schon früh in mir. Gleichzeitig bin ich durch Sport auf den Weg gekommen – vorher hatte ich nur Blödsinn im Kopf“, schmunzelte Hannawald.

Doch auch die andere Seite kam zur Sprache. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich trotz Erfolg keinen Spaß mehr hatte. 2001 war mein erfolgreichstes Jahr, aber da habe ich die Müdigkeit im Körper schon gespürt, eine innere Leere. Warum schleich ich durch den Tag, wenn ich mache, was ich liebe?“ Dass er vor den Wettkämpfen Hilfe vom Sportpsychologen bekam, erzählte er damals niemandem. Erst nach dem Burnout, in der Klinik, lernte er, auf sich zu achten. Und gleichzeitig den Willen zum Erfolg als Teil von sich zu akzeptieren.

„Leistung und Beruf gehören für viele Menschen zur Identität“, bemerkte auch Harald Neubauer, Chef der Münchner Arbeitsagentur, bei der Podiumsdiskussion. „Erfolg sorgt doch erst dafür, dass man sich gut fühlt“, ergänzte Mechthild Heppe vom Bundesverband mittelständischer Wirtschaft. Dr. Gabriele Schleuning, Chefärztin am KBO Isar-Amper-Klinikum, hielt dagegen: „Der Mensch braucht nicht unbedingt Erfolg, sondern ein gutes Gefühl aus sich selbst: Ich bin für andere wichtig! Wir sollten den Wert des Menschen nicht nur über Leistung beurteilen.“

Kann eine Leistungsgesellschaft überhaupt jeden abholen? Auf diese Frage der Moderatorin Rita Wüst fanden die Podiumsteilnehmer keine abschließende Antwort. Jeder Mensch sei anders leistungsfähig, aber manche befänden sich vielleicht am falschen Platz. Dafür bräuchten Führungskräfte einen Blick. „Wir müssen mehr miteinander reden und gegenseitig auf uns achten“, schloss Mechthild Heppe. Vielleicht kann man bei einem gemeinsamen Zoobesuch damit anfangen.